von Anne Bernhardt
Hat man sich als Läufer oder Läuferin bei einem Volkslauf angemeldet, verfolgt man normalerweise am Vortag gespannt die Wettervorhersagen. Wichtige Fragen wie „Regenjacke ja oder nein?“, „langes oder kurzes Sportzeug?“, „brauche ich Handschuhe?“ sind zu klären. Doch obwohl der Lauf, für den ich mich angemeldet habe, im Februar in Deutschland stattfindet, ist mir die Wettervorhersage ganz egal. Ich werde nämlich 500 m unter der Erde laufen, bei 21 Grad Celsius und garantiert ohne Niederschlag. Im Erlebnisbergwerk Merkers, einem ehemaligen Kalibergwerk, findet einmal im Jahr ein solcher Lauf unter Tage statt. Auch wenn die Bekleidungsfrage daher schnell geklärt ist (kurzes Sportzeug, keine Regenjacke), gibt es andere Fragen zu beantworten. Wie befestigen ich zum Beispiel die vorgeschriebene Stirnlampe am ebenfalls vorgeschriebenen Fahrradhelm? Ein guter Freund rät mir, Kabelbinder zu verwenden. Perfekt! Ich verzichte darauf, das Laufen mit Helm vorab schon einmal auszuprobieren. Dabei wäre es bestimmt lustig gewesen, die erstaunen Blicke der Spaziergänger auf meiner Hausrunde durch die Dresdner Heide zu sehen. Am Wettkampftag liegt Schnee bei minus 2 Grad. Läufer und Läuferinnen, erkennbar in diesem Fall vor allem an mitgeführten Fahrradhelmen und Stirnlampen, strömen in das Eingangsgebäude des Erlebnisbergwerks. Nette Gespräche entspinnen sich an der Startnummernausgabe. Auch der Weg ins Startareal ist ein Erlebnis. Zuerst die Fahrt im Fahrkorb in 500 m Tiefe. Wie die Heringe in der Dose stehen wir dicht gedrängt, aber die Stimmung ist ausgelassen. Nach dem Passieren einer Schleuse werden wir auf LKWs „verladen“, immer 30 Personen auf die mit je drei Bänken bestückte Ladefläche. Die rasante Fahrt zum Startareal ist leider viel zu schnell zu Ende. Besonders die Kurven machen richtig Spaß, es ist ein bisschen wie Karussellfahren.
Im sogenannten Großbunker sind Stühle für uns aufgestellt. Hier finden auch Konzerte statt. Obwohl ich bereits zwei Stunden vor dem Start an Ort und Stelle bin, vergeht die Zeit wie im Flug: umziehen, Startnummer befestigen, den Erklärungen zum Bergwerk lauschen (Es gibt hier unten ein 4000 km langes Wegenetz!), sich mit anderen Läufern unterhalten.
Ein interessantes Phänomen ist auf den Toiletten zu beobachten: die Schlange vor der Männer Toilette ist richtig lang, während man auf der Frauenseite fast sofort an der Reihe ist. Sonst ist es doch immer andersrum? Ein späterer Blick in die Meldeliste verrät, dass wir Frauen hier sehr deutlich in der Unterzahl sind. So sind unter den 250 Halbmarathon Startern nur 66 Frauen. Vor dem Start des 10 km Laufs um zehn Uhr gibt es eine Lasershow. Dafür ist der dunkle Stollen natürlich super geeignet.
Wir anderen Läufer verfolgen den Start der 10 km Läufer und feuern sie an. Da jede Runde nur 3,25 km lang ist, können wir das Rennen gut verfolgen. Schon nach etwa 11 Minuten taucht der erste Läufer zum ersten Mal wieder aus den Tiefen des Schachts auf. Respekt! Um elf gibt es dann einen gemeinsamen Start der Halbmarathonis und Marathonis. Vor uns liegen 7 bzw. 13 Runden. Ich bin ganz froh, dass ich mich nur für 7 Runden angemeldet habe. Und dann sind wir plötzlich auf der Strecke. Die Gänge sind recht gut beleuchtet, wahrscheinlich ist die vorgeschriebene Stirnlampe vor allem für Havariefälle gedacht. Die Streckenführung des Rundkurses ist sehr abwechslungsreich, rauf und runter, rechts, links und man kann nie weit schauen.
Trotzdem ertappe ich mich zwischendurch immer wieder dabei, dass ich gerade nicht weiß, in welcher Runde ich mich gerade befinde und an welcher Stelle der Runde. Vielleicht liegt das am fehlenden Tageslicht. Obwohl es mitten am Tag ist, fühle ich mich etwas müde. Nach sieben Runden trabe ich dann glücklich ins Ziel, sogar ein kleiner Endspurt ist noch drin.
Insgesamt bin ich 9. bei den Frauen geworden. Eigentlich garnicht so schlecht.
Die Finisher Medaille ist besonders. Sie ist einer Fahrmarke nachempfunden, die jeder bei sich tragen muss, der in den Schacht einfährt.
Als ich wieder nach oben komme, scheint die Sonne. Mich überkommt ein ähnliches Gefühl, wie das, wenn man tagsüber aus dem Kino kommt. Man ist fast verblüfft von der plötzlichen Helligkeit. Aber der Kristallmarathon ist viel schöner als eine Kino Vorstellung. Vielleicht melde ich mich im nächsten Jahr wieder an.